ChatGPT als Herausforderung für unsere Fähigkeit zur Quellenkritik

(2023-03-24) Im Nachgang zur gestrigen Gründungskonferenz des Virtuellen Kompetenzzentrums: Schreiben lehren und lernen mit KI – Tools und Techniken für Bildung und Wissenschaft, kurz: VK:KIWA, habe ich einige meiner Assoziationen zu bildungstheoretischen Implikationen der dort diskutierten Aspekte nachstehend einmal kurz zusammengefasst. Noch unausgegoren und unabgeschlossen, ausdrücklich als Debattenbeitrag gemeint. Insofern freue ich mich über eure Anmerkungen und Kommentare hier.

Mich treibt derzeit besonders die Frage nach Quellenkritik als Baustein von Media Literacy oder Medienkompetenz um. Die Gültigkeit der Informationen, die mithilfe von Chatbots wie ChatGPT & Co. Verbreitung finden, ist im Wortsinne fragwürdig; sie muss es aufgrund der stochastischen (und gerade nicht semantischen) Grundlagen solcher Chatbots geradezu sein. Daher wird Quellenkritik häufig gleichsam als Gegen- oder sogar Allheilmittel ins Feld geführt, das einen autonomen Umgang mit Information verbürgen und vor allem verhindern solle, dass letztlich Fake News unser Handeln im Allgemeinen sowie unsere politische Meinungsbildung im Besonderen beeinflussen.

Dabei ist es zweifellos richtig, dass in der Vergangenheit zahlreiche und auch zahlreiche überzeugende Konzepte entwickelt worden sind, um den kritischen Umgang mit Information zu fördern. Voraussetzung für diese Quellenkritik ist, schematisch gesprochen, dass hierfür Maßstäbe entwickelt werden können. Dies geschieht wesentlich im Vergleich und im Kontrast von Informationen (unter Zuhhilfenahme weiterer, medienexterner Kriterien). Was aber, wenn eine informationale „Monokultur“, wie sie mit der Verbreitung und Nutzung von Chatbots in ihrer heutigen Funktionsweise mindestens angelegt ist, genau diesen Vergleich und damit die Entwicklung von Maßstäben zunehmend erschweren wird?

Was ich meine, kann das Beispiel des Taschenrechners tatsächlich verdeutlichen (das ansonsten aus meiner Sicht „hinkt“, wenn es zur Rechtfertigung des Einsatzes von ChatGPT & Co. in der Schule herangezogen wird): Wir können das Ergebnis, das wir mithilfe eines Taschenrechners erhalten, nur dann überprüfen, wenn wir noch eine andere Möglichkeit beherrschen, die fragliche Berechnung auszuführen. Wenn wir beispielsweise durch Kopfrechnen in der Lage sind, zumindest die Größenordnung eines Ergebnisses zu bestimmen, dann können wir beurteilen, ob das mithilfe eines Taschenrechners ermittelte Ergebnis plausibel ist – oder ob wir uns vielleicht vertippt haben, weshalb das Komma jetzt an der falschen Stelle steht.

Woher aber erhalten wir diese Referenzgröße, wenn es um Information und Weltwissen geht, wenn wir diese zunehmend aus der informationellen „Monokultur“ von Chatbots beziehen – wie das zumindest sein könnte, wenn Informationsbeschaffung per ChatGPT & Co. so bequem zu sein scheint?

Ja, ich kenne das Gegenargument, wonach wir Kindern auch das Kopfrechnen beibringen, damit sie das Outsourcing kognitiver Leistungen an den Taschenrechner überwachen können. Doch das ist Kärrnerarbeit, die überdies nicht nachhaltig Früchte trägt, so zumindest mein Eindruck angesichts der großen Zahl von Menschen, denen ich begegne, die selbst die alltäglichsten Berechnungen nicht im Kopf vornehmen können. (Lassen wir an dieser Stelle offen, ob das am Einsatz des Taschenrechners liegt oder nicht vielmehr ausch andere Gründe hat.) Vor allem werden wir immer mehr und radikaler mit der Frage konfrontiert werden, die unter anderem Beat Döbeli Honegger aufwirft: „Warum soll ich lernen, was die Maschine besser kann?“ (*) Oder anders gefragt: Wie wollen und wie können wir Lernende dazu motivieren, sich der Mühe – hier: der differenzierten Informationsbeschaffung und der Wissensarbeit – zu unterziehen – ebenfalls etwas, das schon ohne ChatGPT & Co. mitunter ungeheuer schwer sein kann?

Bitte versteht mich richtig: Ich bin weder Technikfeindin noch Kulturpessismistin. Ich bin vielmehr eine Suchende, was die Antwort auf die Frage angeht, wie (Medien-) Bildung (auch?) künftig dazu beitragen kann, dass wir über jene Informationen und jenes Weltwissen verfügen, die uns ein individuell selbstbestimmtes und selbstverantwortetes Handeln ermöglichen. (Mir ist bewusst, dass spätestens hier der Moment gekommen ist, über Wissensnetze und verteilte Kognition nachzudenken, sowie vor allem über die politischen Implikationen eines veränderten Begriffs von Gültigkeit. Doch das führte für eine erste Gedankenskizze viel zu weit.)

Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf die Fortsetzungen der Diskussionen, die wir bei der KV:KIWA-Konferenz begonnen haben – sowie natürlich vor allem auf eure Anmerkungen und Debattenbeiträge.

Döbeli Honegger, Beat (2023): Warum soll ich lernen, was die Maschine (besser) kann?, <http://blog.doebe.li/Blog> (2023-03-12) [Zugriff 2023-03-24]

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